Marit von Homeyer, 29.10.2010
anläßlich der "Andacht anders" in der Evangelischen Michaelskirche
Ich weiß nicht wie gut Sie über das Johannesevangelium Bescheid wissen. Was der Evangelist Johannes von Jesu Leben erzählt, ist nicht einfach ein Bericht, sondern hier fließen immer wieder Gedanken ein, die das Geschehen erklären und den Sinn der Ereignisse deutlich machen: Gedanken, die Jesu Leben durchsichtig machen für die Größere Wirklichkeit aus der er kommt und sich versteht, für seine Herkunft von Gott.
Wenn Jesus im Johannesevangelium spricht, kommt immer wieder zum Ausdruck, dass er von Anfang an genau weiß wer er ist, worin seine Aufgabe besteht, welche Bedeutung sein Leben und Sterben für die Menschen hat. Ganz erhabene, tiefgründige Sätze über den Sinn seines Lebens, Wirkens und Sterbens, spricht Jesus in diesem Evangelium selbst.
Er wird viel mehr als der auferstandene und erhabene König gezeichnet, denn als Mensch, der menschliches Leiden, auch Schmerz und Sinnlosigkeit selbst empfindet und durchlebt. Und zugleich werden Begegnungen mit Jesus im Johannesevangelium manchmal so lebendig, konkret und brillant erzählt, dass man beim Lesen den Eindruck hat, Jesus selbst berührt mich gerade von hinten an der Schulter und nimmt mich direkt in die erzählte Geschichte hinein.
Der wesentlichen und existentiellen Bedeutung von Jesu Leben - von Gottes Wort – wollte der Evangelist Johannes auf den Grund gehen. Und so sind die einzelnen Verse voll von Sinn.

Von 12 Versen hat sich Detlef Mittag berühren lassen, und jeweils für einen Monat hat er sich ganz darauf eingelassen und bildlich zum Ausdruck gebracht was ihm dabei klar geworden ist. 12 Bilder zu 12 Versen sehen wir in der Ausstellung, Zweien davon wenden wir uns in der "Andacht anders" heute besonders zu.
 
Jesus als Licht der Welt.

Ich sehe Licht, Meer, Land. Wie in der Dämmerung.

Ich erkenne: Formen und Farben setzen sich voneinander ab. Nach dem Dunkel kann ich differenzieren, mich orientieren: Hier ist Land, da Wasser, dort Himmel.

Und alles ist im besonderen Moment der Dämmerung in ein goldenes, betörendes Licht getaucht. Der Himmel leuchtet, alles andere taucht in den Schatten, in Stille. Dämmerung als Zeit des Staunens und Innehaltens. Der Blick gewandt zum Himmel und zur inwendigen Stille … lässt mich zur Ruhe kommen in mir. Ich bekomme ein Gespür für entstehende Konturen oder auch für hereinbrechende Dunkelheit und Stille.

- Aufgeladene Zeit mit Energien des Wachstums -

Morgendämmerung in biblischen Psalmen als die Zeit in der ich die Angst der Nacht und das Chaos loslassen kann. "Ich warte auf das Erscheinen des Herrn wie der Wächter auf den Morgen." (vgl. Ps. 130)

Jesus als Licht der Welt … wirft er wie die Dämmerung ein neues Licht auf die Welt und holt sie aus dem Schatten, aus der Gleichgültigkeit, aus verschwimmenden Konturen und Gefühlen der Orientierungslosigkeit und Angst?

Licht ermöglicht mir meinen Nächsten und meine Aufgaben zu sehen und dazu Stellung zu nehmen.

Bei Licht gesehen, wird mir vom Verstand her klar was zu tun ist, wo ich gehen kann, wo es warm und hell ist.

 
Finster ist alles. Lazarus in der Höhle. Tot und unerreichbar. Verschluckt. Einer, der vorher lebendig neben seinen Schwestern war. Sein Leben für die, die ihn nicht mehr erreichen - wie ins Dunkel getaucht. Konturen - nicht mehr erkennbar, das gemeinsame Land nicht wie vorher begehbar.

Grau, Schwarz. Finsternis. Trauer.

"Wärest du da gewesen, er wäre nicht gestorben..."

Wie ein goldenes Seil, oder wie ein Ring: das Band der Liebe am Bildrand. Kann er es noch ergreifen und wieder in Verbindung mit uns treten?

Kann ich es ergreifen und mit ihm verbunden bleiben? Mit ihm selbst, oder mit dem wonach wir beide uns im Innersten ausgestreckt haben?

"Was für eine Schweinerei, ihn zurückzurufen, wo er es nun endlich geschafft hat dort zu sein, worauf wir hoffen, im ewigen Leben... der arme Kerl..."

Die Liebe seiner Schwester ruft ihn nochmals zurück. Sie kann ihn nicht loslassen. Jesus macht deutlich, bevor er Lazarus aus der Höhle heraus ruft, hier geht es jetzt nicht um seine Kraft, sondern um Gottes Wirklichkeit und Kraft.

"Lazarus komm heraus."

Und so entstehen wieder Konturen und Lazarus kommt heraus … Ergreift er den Ring, oder erfasst Gottes Licht ihn und zieht ihn aus dem Dunkel heraus?

Diese Geschichte, dunkel und hell zugleich. Der goldene Ring, die Hoffnung auf Gottes Macht sogar über den Tod? Symbol für die Liebe? Symbold des Paradieses?